"Miss Holiday set a pattern during her most fruitful years that has proved more influential than that of almost any other jazz singer, except the two who inspired her, Louis Armstrong and the late Bessie Smith." So schrieb die New York Times in ihrem Nachruf auf Billie Holiday, die am 7. April 1915 in Philadelphia als Eleanora Fagan zur Welt kam.
Im Jahr 1933 machte Billie Holiday mit Benny Goodman ihre ersten Aufnahmen. Etwas mehr als 25 Jahre sollte ihre Karriere währen, mit unzähligen künstlerischen Höhepunkten - erwähnt seien die lange Reihe von Sessions mit Teddy Wilson oder Lester Young in den späten Dreissigern und frühen Vierzigern, die grossen Verve-Aufnahmen mit Ben Webster oder ihr Hit "Strange Fruit", dessen Bedeutung für das Civil Rights Movement kaum zu überschätzen ist.
Holiday wurde zur prägenden Jazzsängerin, deren grösstes Vermächtnis weniger ein direkter, stilbildender Einfluss auf nachfolgende Sängerinnen und Musiker war, sondern der Imperativ, das zu tun, was man selbst für richtig, ja für notwendig hält: "If I'm going to sing like someone else, then I don't need to sing at all." Gerade bei Holidays letzten Aufnahmen - sie verstarb im Alter von 44 im Jahr 1959 - stockt uns der Atem. Wir werden zum Voyeur, sind so fasziniert wie schockiert, so gefesselt wie erschrocken, wenn wir "Lady in Satin" hören, das im Februar 1958 eingespielte Columbia-Album. Doch noch diese Selbstentblössung wird zur grossen Kunst, mit ihrer längst kaputten Stimme zieht uns Holiday immer tiefer in ihren Bann.
So I smoke a little too much, and I drink a little too much
And the tunes I request are not always the best
But the ones where the trumpets blare!
So I go at a maddening pace, and I pretend that it's taking your place
But what else can you do, at the end of a love affair.
~ Edward Redding, "The End of a Love Affair"
Billie Holiday und ihr Hund Mister, New York, ca. Juni 1946 (Photo: William P. Gottlieb - Wikimedia/Commons)
Die zwölfte Folge von gypsy goes jazz dreht sich ganz um Billie Holiday. Um - das heisst, wir hören Kompositionen, die mit ihr verbunden, von ihr geschrieben sind, aber wir hören sie gesungen und gespielt von anderen. Holiday hinterliess Spuren. So nahm ihr Pianist Mal Waldron eine gemeinsame Komposition auf und holte dafür - als Ersatz für Lady Day - Jackie McLean ins Studio. Waldron sass auch am Klavier, als das Album "For Lady" entstand, mit dem Lyriker Webster Young an der Trompete und Paul Quinichette am Tenorsaxophon, dem "Vice Pres", der wie kein anderer den spätern Lester Young channelte. Young wiederum war es, der Holiday den Ehrentitel "Lady Day" verlieh, wofür sie sich mit dem Titel "Pres", kurz für "president", revanchierte. Wir hörten die ergreifende musikalische Symbiose der beiden bereits in den Sendungen über Lester Young wie auch in der Sendung über die Jam Session.
Die Sängerin Carmen McRae nahm gleich ein ganzes, überragendes Album mit Holiday-Material auf, aber auch weisse Sängerinnen wurden von Holiday geprägt. Helen Merrill öffnete einst ihr Debut-Album mit einem von Holidays wichtigsten Songs, "Don't Explain" (auch das Stück war hier einst hören). Anita O'Day nahm ebenfalls ein ganzes Album mit Holiday-Material auf. Neben ihnen werden unter anderem Johnny Griffin oder Sonny Rollins zu hören sein, die vor der Lady instrumental ihren Hut ziehen.