Die spontane Idee zur Sendung ergab sich aus Walters Sendung Jazz(-Rock?) vom 13. April. Ich möchte ein paar frühe Jazzrock-Aufnahmen vorstellen, auch welche, die entstanden sind, bevor diese Bezeichnung überhaupt gebräuchlich wurde. Am Anfang steht, wie eine Keimzelle, die Band von Miles Davis, der wie sein einstiger Sideman Cannonball Adderley in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre mit elektrisch verstärkten Instrumenten zu experimentieren begann.
Ein weites Netz spannt sich auf zwischen Einflüssen wie James Brown, Sly Stone oder Jimi Hendrix, zwischen abstrakten Experimenten, wie sie der einstige Pianist der Band von Davis, Herbie Hancock, mit seinem Mwandishi-Sextett, oder die frühen Weather Report um Adderleys vormaligen Keyboarder Joe Zawinul und Davis‘ ehemaligen Saxophonisten Wayne Shorter in den frühen Siebzigern veranstalteten. Gitarrist John McLaughlin stammt aus England, er kam 1969 in die USA, um Mitglied von The Tony Williams Lifetime zu werden. Williams war 1964 zur Band von Miles Davis gestossen und hatte dort – neben Shorter, Hancock und dem Bassisten Ron Carter – zum phänomenalen sogenannten “second quintet“ gehört, das die Richtung des Jazz im Verlauf der späten Sechziger in neue Bahnen lenkte. Zur Tony Williams Lifetime, zunächst ein Trio mit Larry Young an der Orgel, stiess auf Empfehlung von McLaughlin dann auch der Bassist Jack Bruce, vormals bei The Cream.
Aus der Tschechoslowakei stammen Miroslav Vitous, der Bassist der ersten Version von Weather Report, und Jan Hammer, der Keyboarder des Mahavishnu Orchestra, mit dem McLaughlin sich 1971 selbständig machte. Billy Cobham, der Drummer des Mahavishnu Orchestra und bis heute ein prominenter Bandleader, kam in Panama zur Welt. Bei Davis war Chick Corea der Nachfolger von Herbie Hancock an den Tasten, dieser, Joe Zawinul und Larry Young waren jedoch immer wieder dabei, wenn Davis ins Studio ging. Auf Coreas Album “Return to Forever“, der Name wurde später zum Name seiner Band, spielte auch der brasilianische Drummer/Percussionist Airto Moreira, der zur Band von Davis gehörte. Bei Weather Report war Moreira auf dem Debut-Album zu hören, sein Nachfolger wurde der ebenfalls aus Brasilien stammende Dom Um Romão.
So waren diese Jahre eine Zeit, in der Musiker aus Europa, aus Latein- und Nordamerika zusammentrafen und ihre Experimente noch weit herum erfolgreich sein konnten: Weather Reports Zweitling “I Sing the Body Electric“ tauchte ebenso wie die zwei ersten Alben des Mahavishnu Orchestra in den Pop-Charts von Billboard auf, “Birds of Fire“ schaffte es bis auf Platz 15. Doch Herbie Hancock gab sein Sextett (das stellenweise zum Oktett gewachsen war und mit sehr viel Equipment unterwegs war) auch aus Kostengründen auf – hauptsächlich aber wohl, weil er ein grösseres Publikum erreichen wollte. Als Vorband waren einst die Pointer Sisters dabei und Hancock war von ihrer Energie und ihrer Verbindung mit dem Publikum überrascht. So gründete er 1974 eine neue Gruppe, die Head Hunters, die den Funk wohl erfolgreicher als jede andere Jazz-Rock-Band in das einband, was bald “Fusion“ oder “Jazz-Fusion“ genannt werden sollte. Bei Weather Report verabschiedete sich Bassist Miroslav Vitous bald, weil die Experimente weniger wichtig, das kompositorische Element bedeutender wurde. Das kurze Fenster des experimentellen Jazz-Rock schloss sich bald wieder, einzige Miles Davis machte bis Anfang 1975 weiter, danach zog er sich für den Rest des Jahrzehnts von der Musikwelt zurück.
Ein paar Aufnahmen aus den Jahren 1968 bis 1974 stehen heute Abend in der ersten Stunde auf dem Programm; die meisten der erwähnten Musiker sind mit dabei, sei es als Leader oder als Sideman.