Die lange Nacht mit Musik von und mit James Brown verspricht eine Groove-Orgie! Wir verfolgen die Entwicklung des Soul Brother #1 über zwanzig Jahre von den Anfängen bis in die Siebziger. Neben Musik vom Meister selbst werden seine Funky Divas zu hören sein, alleine und im Duett mit Brown: Yvonne Fair, Marva Whitney, Vicki Anderson, Lyn Collins und andere. Daneben steht auch Browns Band immer wieder im Mittelpunkt; genannt seien vorerst drei illustre Namen: Maceo Parker, Pee Wee Ellis und Fred Wesley - a.k.a The J.B.'s.

Please, Please, Please - die Anfänge (1956-1963)

Den Auftakt zu Browns Karriere machte seine erste #1, "Please, Please, Please" aus dem Jahr 1956, noch unter dem Namen "James Brown with The Famous Flames". Erst zweieinhalb Jahre und einige R&B-Nummern, Blues-Balladen und Shuffles später gelang mit "Try Me" im Herbst 1958 der Anschluss - und schon bald war Brown nicht mehr aufzuhalten. "Think", "Bewildered", "Lost Someone" oder "Prisoner of Love" schafften es in den frühen Sechzigerjahren in die Top-10 der R&B-Charts von Billboard.

Eine Schlüsselrolle in Browns Werdegang spielte gerade in den frühen Jahren zweifellos Bobby Byrd. Auch von ihm erklingen ein paar Stücke. Ebenso hören wir Features für die Band, in der Brown sich gerne hinter die Orgel (oder auch einmal ans Schlagzeug) setzte, wenn er sich nicht aufs Komponieren, Arrangieren und Produzieren beschränkte. Die Rolle des Produzenten erkämpfte Brown sich in einer langen Auseinandersetzung mit seinem Label King und dessen Boss Syd Nathan. Brown gründete eigene Produktionsgesellschaften, ging verschiedene Kollaborationen ein, brachte auf dem Label Smash mehrheitlich instrumentale Singles heraus und boykottierte zeitweise King. Schliesslich einigte man sich, Brown bekam sein eigenes Büro im King-Gebäude, produzierte auf seinem Label People Aufnahmen seiner Band, seiner Sängerinnen und von anderen Musikern, während er seine eigenen Singles wieder bei King herausbrachte.

Papa's Got a Brand New Bag - der Weg zum Funk (1964-1969)

In derselben Zeit, in der Brown an seinem self empowerment arbeitete, lenkte er die Musik in neue Bahnen. Schon seit einigen Jahren tingelte er nicht mehr mit zusammengetrommelten Bands durch die Lande. Er hatte längst seine eigene Band gegründet, das James Brown Orchestra. Mit diesem trat er live auf und spielte er den grösseren Teil seiner Studio-Aufnahmen ein. In der Band fanden sich gestandene R&B- und Jazzmusiker ein. Mit ihnen entwickelte Brown, der "Idiot" im Sinne von Deleuze, eine Musik, wie sie nie zuvor erklungen war: den Funk. Unbelastet von musikalischen Regeln konnte Brown, geschützt durch eine Art Immunität des Naiven, originäre Konzepte entwerfen, die dem Pedanten nicht zugänglich geworden wären. Die bekanntesten Hits jener Zeit sind "Papa's Got a Brand New Bag", "I Got You (I Feel Good)", "It's a Man's Man's Man's World", die es alle bis an die Spitze der R&B-Charts schafften.

"Cold Sweat" - auch das eine #1 - war dann das Stück, in dem die neue Musik förmlich explodierte. Pee Wee Ellis hatte Anfang 1967 die musikalische Leitung der Band Browns übernommen. Der Saxophonist bewunderte und verehrte seine Kollegen aus dem Jazz, die tonangebenden Musiker, deren Aufnahmen bei Blue Note Records erschienen. Brown funktionierte aber grundlegend anders, wie Ellis später berichtet hat:

James called me in his dressing room after a gig, said we were going to record soon and for me to have the band ready ... He grunted the rhythm, a bass line, to me. I wrote the rhythm down on a piece of paper. There were no notes. I had to translate it. (Pee Wee Ellis)

Auf nur einem Akkord baut "Cold Sweat" auf, Clyde Stubblefield trommelt einen irren Beat, ein zweitaktiges Pattern mit dem synkopischen Groove, den Verzögerungen, die er wie kein Zweiter beherrschte. "Cold Sweat" bricht mit den chord progressions, es geht auf keine Reise, wie das die üblichen Songformen machen, es gibt kein Ziel - oder anders: das Ziel ist bereits erreicht, das Ziel ist die Gegenwart, das Hier und Jetzt. Und dieses wird von Brown in einer Intensität zelebriert, die musikalisch bis heute einzigartig ist.

JB at the Apollo

Die JB Revue zog unaufhaltsam durch die Lande, im selben Jahr 1967 entstand Browns zweites Live-Album aus dem New Yorker Apollo Theater, einem der Brennpunkte der afro-amerikanischen Kultur seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 1934. Für Brown waren die dortigen Auftritte stets eine Art Prüfung:

I need to play the Apollo. It keeps me on my toes. I know every six months I've got to have a new show ... Those audiences won't let you do the same show you did the last time ... 'Cause once that show gets over at the Apollo, I know we can take it anywhere on the planet and beat out anybody. (James Brown)

Das Album muss man in seiner Gänze hören, am besten in der erweiterten Deluxe Edition, die einen die fast vollständige JB Revue erfahren lässt - auch wenn man die durchdachte, zugleich unheimlich dichte aber auch Freiräume lassende Choreographie der Show nur in Filmaufnahmen erfahren kann. Ein kommerziell nie veröffentlichtes Konzert von Paris, ebenfalls aus dem Jahr 1967, ist auf den üblichen Kanälen zu finden und einer der Höhepunkte daraus erklingt in der Sendung.

Bootsy, Baby! - die J.B.'s und der Funk (1970)

Anfang 1970 lief Brown die unzufriedene Band davon - natürlich nicht ohne zuvor ein paar weitere #1-Singles eingespielt zu haben: "I Got the Feelin'", "Say It Loud - I'm Black and I'm Proud", "Give It Up or Turnit a Loose", "Mother Popcorn". In der Notlage erinnerte Brown sich einiger junger Musiker, die er unterwegs auf Tour irgendwo gehört hatte:

Bob Patton tracked down bassist Bootsy Collins, his guitar playing brother Phelps, horn players Clayton Gunnels, Daryl Jamison and Robert McCullhough, and drummer Frank Waddy, at a dive called the Wine Bar. Veteran JB sidekick Bobby Byrd made the call. In a matter of hours, a teenage band that had only briefly toured behind Hank Ballard and Marva Whitney was on its way to Columbus in Brown’s Lear jet. (Alan Leeds)

Bobby Byrd wurde erneut zur Schlüsselfigur, er schwörte die neue Band rasch ein. Es gelang, den rohen Sound der blutjungen Musiker zu kanalisieren und in neuen Stücken wie auch aufgefrischten Arrangements älterer Nummern vom rhythmischen Drive zu profitieren, den die Collins-Brüder mitbrachten. Aus dieser Zeit stammt nicht nur "Sex Machine" (mit Bobby Byrd als Co-Sänger) sondern auch das Meisterwerk "Soul Power", geformt unter der Ägide von Rückkehrer Fred Wesley, der in den kommenden Jahren zum musikalischen Leiter der Band und wichtigsten Sideman Browns werden sollte - die Collins-Brüder brachen nämlich nach etwa einem Jahr mit dem George Clinton space ship in neue musikalische Gefilde auf, die Band brach erneut auseinander.

Wesley oblag es, die Scherben zusammenzulesen, und wie zuvor Byrd leistete er erstklassige Arbeit. Bald war wieder eine eingespielte Band vorhanden, mit der Brown seine nächsten Hits auf den Markt warf. Die Mittel, die Wesley zur Verfügung standen, waren weniger luxuriös als die Band, die in den Sechzigern Pee Wee Ellis und seinem Vorgänger Nat Jones zur Verfügung gestanden hatte, doch wusste Wesley genau, was er mit den vorhandenen Musikern erreichen konnte. Auch er berichtete später über die unkonventionelle Art Browns:

I had to free my mind of everything I knew about music in order to understand what Mr. Brown was talking about. My role was simply to relate in musical terms what he was saying. (Fred Wesley)

The Hardest Working Man in Show Business (1971-1976)

Bis 1975 lief der Motor auf Hochtouren, Brown und seine Band - seit dem Intermezzo mit Bootsy und Catfish Collins als "The J.B.'s" bekannt - brachten Single um Single, Album um Album auf den Markt. Die J.B.'s, Fred Wesley und später auch der Rückkehrer Maceo Parker veröffentlichten ihre eigenen Aufnahmen auf People, stets unter Aufsicht Browns, der als Produzent waltete. In den Jahren 1971 bis 1975 schaffte es fast jede Single in die Top-10 der R&B-Charts. Dass dies ausgerechnet "Soul Power" versagt blieb (#3), mag darob zu verschmerzen gewesen sein. Zu den besten Singles der Zeit zählen "Make It Funky", "Talkin' Loud & Sayin' Nothin'" (später Namensgeber von Gilles Petersons Acid Jazz Label), "The Payback" und "My Thang". Erst in dieser Phase wandelte Brown sich allmählich auch vom Singles- zum Albumkünstler. Zuvor hatte Brown besonders zwei herausragende Live-Alben aus dem Apollo herausgebracht - das erste notabene gegen den Willen von Syn Nathan, der sich von Brown eines besseren belehren lassen musste, denn es schlug im Radio ein und wurde zu festgelegten Zeiten regelmässig und vollständig gespielt. Die anderen LPs enthielten meist eine Anzahl Singles - teils in anderen, längereren Edits - und weiteres Material, das oftmals Füller-Charakter hatte. In den frühen Siebzigern erschienen mit "Sex Machine" (die Aufnahmen entstanden teils live, die Studio-Hälfte wurde mit Applaus versehen), "The Payback" oder "Hell" auch gelungene Longplayer.

Neben Singles von Brown, Wesley und den J.B.'s aus den Siebzigern werden auch Stücke von Lyn Collins (The Female Preacher) erklingen, einer der besten Sängerinnen, die Brown an seiner Seite hatte, zudem eine lockere Groove-Nummer von "Sweet" Charles Sherrell, der als Bassist in den späten Sechzigern einstieg und später als Keyboarder zurückkehrte. Auf dem Programm stehen aber auch Brown-Produktionen mit Hank Ballard und Beau Dollar, Browns gelungene Exkursion in Big Band-Gefilde mit der kraftvollen Band von Louie Bellson und den phantastischen Arrangements von Oliver Nelson, zudem Obskuritäten wie das der Gruppe "A.A.B.B." zugeschriebene "Pick Up the Pieces One by One". Der Bandname steht für "Above Average Black Band" - Brown holte sich zurück, was die schottische Average White Band sich von den J.B.'s geklaut hatte. Doch Brown wäre nicht Brown, wenn die Single nicht eine Überraschung enthielte!

Die vielen Musiker, die oftmals lange Jahre an der Seite von Brown arbeiteten, verdienen Erwähnung. Auch wenn es Brown selbst war, der - ungehemmt durch Wissen, eben als eine Art "Idiot" - die neuen Wege fand und die Breschen schlug: Das Übermass an Kreativität, das sich in diese ergoss, wäre ohne Nat Jones, Pee Wee Ellis, Maceo Parker, Fred Wesley, Bobby Byrd, Jimmy Nolen, Clyde Stubblefield, St. Clair Pinckney, Bootsy Collins, Jabo Starks, Melvin Parker, Bernard Odum, Alfonzo Kellum, Charles Sherrell, Catfish Collins und all die anderen nicht zustandegekommen.

(Flurin Casura)