Auch in der zweiten Folge von "Tenor Giants" steht Coleman Hawkins im Mittelpunkt. In der letzten Sendung folgten wir seinem Gang von den Anfängen mit Fletcher Henderson bis in die Sechzigerjahre. Dieses Mal geht es um ihn und seine wichtigsten "Schüler" (der Begriff wird im Jazz traditionell sehr weit gefasst). Wir hören Musiker wie Herschel Evans, Chu Berry, Don Byas, Ben Webster, Illinois Jacquet und andere, teilweise gemeinsam mit Hawkins, der bekanntlich keiner Gegenüberstellung aus dem Weg ging.


Bei Count Basie wirkte mit Herschel Evans (1909-1939) einer der besten Hawkins-Schüler mit - als Gegenpol zu Lester Young, der wiederum einen ganz anderen Stil prägte, den wir in der nächsten Folge von "Tenor Giants" hören werden.

Don Byas (1912-1972) zählte zu den Tenorsaxophonisten, die während Coleman Hawkins' Abwesenheit in Europa (1934-1939) um den Platz auf dem Thron des besten Tenorsaxophonisten kämpften. In den Vierzigern gehörte er mit seinem auf Hawkins aufbauenden, aber etwas flüssigeren Spiel zu den besten Musikern an der lebendigen New Yorker 52nd Street, wie Hawkins war auch er offen für die Neuerungen des Bebop, der in kleinen After Hours-Clubs wie dem Minton's Playhouse und Clark Monroe's Uptown House entstand. Hawkins holte ihn in den Vierzigern in seine Combo und wir werden ihn mit Hawkins wie auch mit Ben Webster hören.

Auch Chu Berry (1908-1941) zählte zu den aussichtsreichsten Kandidaten auf den Platz, den Hawkins nur scheinbar geräumt hatte. Sein Ton war weicher als der von Hawkins, etwas süsser - auch er hätte ziemlich sicher die Neuerungen des Bebop verstanden, zählt jedoch wie Herschel Evans zu den viel zu früh verstorbenen tragischen Figuren des Jazz.

Ben Webster (1909-1973) wiederum erlebte seinen Durchbruch bei Duke Ellington. Wir hörten ihn mit seiner Paradenummer "Cotton Tail" in der ersten "Story of Jazz"-Sendung - auch davon ist eine Fortsetzung geplant. Neben zupackendem, manchmal fast grob wirkendem Spiel in schnellen Stücken - die ihm den Übernamen "The Brute" eintrugen - wurde Webster vor allem für sein einmaliges, äusserst sinnliches Balladenspiel bekannt. Davon wiederum scheint einiges zurück auf Hawkins gewirkt zu haben. Wir hören die beiden gemeinsam, aber auch Webster mit Don Byas und dem Blues - einer weiteren Webster-Spezialität.

Ein weiterer Hawkins-Schüler, der in den Vierzigerjahren für Aufsehen sorgte, war Illinois Jacquet (1922-2004). Sein grosser Hit war "Flying Home", zuerst mit der Big Band von Lionel Hampton eingespielt - auch dieses Stück hörten wir in der ersten "Story of Jazz"-Folge. Jacquet gehört zu den härter spielenden unter Hawkins' Nachfolgern - und zu den wichtigsten unter der "Texas Tenors", der langen Reihe phantastischer Tenorsaxophonisten aus Texas.

Zwei weitere Hawkins-Schüler und "Texas Tenors" werden in der Sendung zu hören sein, Arnett Cobb (1918-1989) und Buddy Tate (1913-2001). Tate wurde in Basies Big Band Nachfolger von Herschel Evans und neuer Gegenspieler von Lester Young, Arnett Cobb spielte unter anderem mit Lionel Hampton erhielt für sein zupackendes Spiel den Übernamen "Wild Man of the Tenor Sax". Beide wirkten sie an einem Album von Eddie "Lockjaw" Davis mit, bei dem dieser als vierten im Bunde auch den Übervater Coleman Hawkins einlud.

Hawkins revanchierte sich und lud Eddie "Lockjaw" Davis (1922-1986) wiederum ein, an einem seiner Alben mitzuwirken. Davis pflegte einen äusserst vokalen Stil mit einzigartiger Intonation und Phrasierung - sein Ton kam eher von Hawkins, aber in seinen Linien ist auch der Einfluss von Lester Young zu erkennen. Davis pflegte mit Sonny Stitt und Johnny Griffin genussvoll die "tenor battle" - zwischen Konkurrenz und kongenialer Ergänzung.

Auch Sonny Rollins (*1930) wurde von Hawkins ebenso wie von Lester Young beeinflusst. Sehr jung spielte er mit den Beboppern der ersten Stunde und entwickelte sich in den Fünfzigerjahren zu einem herausragenden Musiker. Ein Improvisator, dessen endloser Fundus an Einfällen jenem von Coleman Hawkins durchaus gewachsen ist. In den frühen Sechzigern trafen die beiden Giganten aufeinander und nahmen gemeinsam ein klassisches Album auf.

(Flurin Casura)