Im Jahr 1967 überflügelte das Debut-Album von Bobbie Gentry, "Ode to Billie Joe", die Beatles in der Hitparade, verdrängte deren "Sgt. Pepper" von Platz eins. Der Titelsong, mit dem das Album schliesst, evoziert den ruralen Süden der USA, doch den Song umgibt ein Geheimnis, das sich in den Alltag - "pass the biscuits, please" - hineindrängt. Der Text wirft Fragen auf, die er nicht beantwortet. Warum hat sich Billie Joe von der Brücke gestürzt? Ist die Erzählerin das Mädchen, das mit ihm dort gesehen wurde oder nicht? Und was haben die beiden zuvor von der Brücke geworfen? Es gibt dazu verschiedene Deutungsmöglichkeiten:

Ging es um ein ungeborenes oder eher: abgetriebenes Kind; spielte die "Rassenfrage" mit, weil Billie Joe weiss, das Mädchen aber schwarz war ("I was out choppin' cotton" sagt sie, und auf dem Tisch stehen auch black-eyed peas), oder war Billie Joe ganz einfach depressiv, hat das Mädchen ihn zuvor überzeugt, seine Waffe in den Fluss zu werfen?

Gentry selbst bleibt so unfassbar wie ihr Song, sie gab kaum Interviews und zog sich Mitte der Siebziger aus dem Musikgeschäft zuürck. Ihr Southern Gothic-Meistewerk "Ode to Billie Joe" jedoch bleibt ein faszinierendes Vermächtnis. Die Brücke über den Tallahatchie, von der Billie Joe sich stürzt, ist dieselbe, von der im August 1955 die Leiche von Emmett Till in den Fluss geworfen wurde. Bob Dylan hat über den tragischen Tod des vierzehnjährigen Jungen aus Chicago, der im Süden nur zu Besuch war, einen Song geschrieben. Gentry wiederum wurde - wohl eher im Norden der USA - seinerzeit auch für eine schwarze Sängerin gehalten. Ein Zufall ist es kaum, dass ihr Song genau da spielt, wo sich ein Dutzend Jahre zuvor die "white supremacy" in ihrer ganzen Hässlichkeit offenbart hatte.

Ob Gentrys Song sich darauf beziehen wollte, muss offen bleiben. Aber klar ist, dass er von enormer Prägnanz ist, nicht nur bezüglich des Textes sondern auch musikalisch. Es handelt sich um eine Art abgewandelten Blues, über den sich - der besondere Reiz für Jazzmusiker - gut solieren lässt. Und um Cover-Versionen von "Ode to Billie Joe" herum ist auch der heutige lange Sendeabend programmiert. Noch 1967 nahmen erste Jazzmusiker ihre Version von "Ode to Billie Joe" auf, im Jahr darauf folgten verschiedene weitere Cover-Versionen.

Dazu erklingen auch andere Popsongs, die von Jazzmusikern vor allem in den späten Sechzigern gecovert wurden: Bobby Hebbs "Sunny", "Hey Jude" von The Beatles, Percy Mayfields "Please Send Me Someone to Love", "Spinning Wheel" von Blood Sweat and Tears, Aretha Franklins "Think", Sonny Bonos "The Beat Goes On" etc. Der Groove wird den ganzen Abend hindurch passen, es geht funky zu und her, zupackend und treibend, swingend oder ganz entspannt. Wir hören Musiker wie die Saxophonisten Lou Donaldson und Stanley Turrentine, die Organisten Jimmy Smith, Lonnie Smith oder John Patton, die Gitarristen Grant Green oder Kenny Burrell und viele andere, darunter auch ein paar Europäer, und auch eine Version mit Gesang wird nicht fehlen.

Das letzte Drittel der Sendung wird ruhiger, After Hours-Musik, die den Samgstagabend langsam ausklingen lassen wird ... doch endet der Abend noch nicht mit der letzten Version von "Ode to Billie Joe", nein, es gibt zum Abschluss noch ein kürzeres Set mit Popcorn-Musik. Nicht von der Sorte, wie sie Ostende gepflegt wurde, sondern wie sie einst in Augusta, Georgia, ihren Ausgang nahm. Die Hauptrollen spielen dabei Friendly Fred und die Gitarre von Jimmy "Chank" Nolen - good Gawd!

Der Abend mag auch als mein kleiner Beitrag zum zehnjährigen Jubiläum des Senders betrachtet werden, eine kleine musikalische Party zur Einstimmung auf das Jubiläumsfest, das am Samstag drauf leider ohne mich steigen wird. Zum Auftakt um 20:30 gibt es ein Label-Special zu Hammondbeat mit DJ Joliet Jake - es lohnt bestimmt, von Anfang an dabei zu sein!